Ineos Grenadier – besser als der Defender? Erste Testfahrt im neuen Geländewagen
Billige Kopie oder Wiederauferstehung? Mit dem Grenadier möchte der britische Hersteller Ineos den Mythos Land Rover Defender aufleben lassen.
Die Fußstapfen jedenfalls sind groß. Der unkaputtbare Defender, der bis 1990 noch schlicht Land Rover hieß, war ein Haudegen auf vier Rädern und auf allen fünf Kontinenten zu Hause. Ob auf Eis, in der Wüste, im Dschungel oder in den noblen Vororten von London.
Seinen 70. Geburtstag durfte der Landy nicht mehr feiern. Zumindest nicht mehr im traditionellen Blechkleid. Technisch veraltet, nicht mehr geeignet für die neuen Crash- und Sicherheitsanforderungen. Und so ließ Land Rover den alten Defender sterben und baute einen völlig neuen Geländewagen mit diesem Namen, den die eingefleischte Fangemeinde nie akzeptierte. Zu viel Lifestyle-Schick, zu wenig hemdsärmeliger Charme.
Land-Rover-Herausforderer: Geburt im Pub
Ein neuer, alter Landy musste her. Aber wie? Wenn man die Möglichkeiten eines Multimilliardärs hat, dann lässt man sich ganz einfache einen bauen. Kühne Idee, die der Legende nach in einem Londoner Pub entstanden ist. Dort schritt Jim Ratcliffe (70) gleich zur Tat.

Er nahm sich einen Bierdeckel und malte ein magisches Dreieck auf. Die Eckpunkte für einen neuen Defender mit Charakter. „Design“, „Off-Road-Fähigkeiten“ sowie „Haltbarkeit und Verlässlichkeit“. Diese Voraussetzungen sollte der Neue erfüllen. Genauso einfach war auch die Namensfindung. Grenadier – wie das Pub im feinen Londoner Viertel Belgravia, in dem die Idee anno 2016 geboren wurde und das Ratcliffe später dann auch noch gekauft hat.
Motor-Power von BMW für den Ineos Grenadier
Ganz so lässig ging es natürlich nicht weiter mit der Geschichte des Ineos Grenadier. Strenge und detaillierte Machbarkeitsstudien mussten her, fielen aber positiv aus. Und so wurde aus dem Chemie-Unternehmen Ineos ein Fahrzeughersteller mit prominenten Partnern. Die Sechszylinder-Maschinen (Diesel und Benziner) kommen von BMW. Bosch und ZF liefern Getriebe, Lenkung und andere Komponenten.
Aus Italien stammen die Achsen, vom Spezialisten Carraro. Konstruiert wird das Auto dort, wo man weiß, wie man Geländewagen macht: Bei Magna in Steyr, der Heimat der G-Klasse von Mercedes. Fehlt nur noch die Fabrik. Letzte Anekdote: Wie das so ist, wenn man sich in der Spitze der Gesellschaft bewegt, dann bekommt man auch mal einen Anruf vom Mercedes-Chef persönlich. Im Gespräch mit Ratcliffe bot Ola Källenius das Daimler-Werk in Hambach an, weil dort die Produktion des Kleinwagens Smart auslaufen sollte.
Innen sieht es im Ineos Grenadier wie im Flugzeug aus
Direkt aus Hambach kommen auch die Grenadiere, die fein säuberlich aufgereiht wie beim Morgenappell vor uns stehen und jetzt den Beweis antreten müssen, ob oder ob nicht. Sind die Spurrillen des Land Rover Defender zu groß für den Ineos Grenadier? Zumindest optisch kann der Neue mithalten. Kantige Karosse mit runden Kulleraugen, die Windschutzscheibe steht senkrecht im Wind, hinten Ersatzreifen und Dachleiter, unten schwere Bodenbleche fürs Gelände. Und trotzdem sieht der Grenadier nicht altbacken aus. Innen hat der Grenadier noch mehr Charakter.

Die zwei zentralen Steuereinheiten, eine in der Mittelkonsole, die andere im Dachhimmel, erinnern an eine Flugzeugkanzel. Echte Schalter, Bügel-Optik. Da macht es noch richtig Klack. Im unteren Bereich werden die üblichen Fahrzeugfunktionen bedient, wie Klima oder Lautstärke. Oben befindet sich alles, was mit dem Allradfahren zu tun hat, die Differenzialsperren etwa. Außerdem gibt es Leerschalter für spätere Anschaffungen. Außenlicht zum Beispiel oder eine Winde, die man beim Grenadier geschickt hinter dem vorderen Kennzeichen verstecken kann. James Bond lässt grüßen.
Kein klassischer Tacho im Grenadier, dafür zwei Hupen
Eine Besonderheit leisten sich die Ineos-Leute beim Cockpit. Es gibt keinen Tacho (weder analog noch digital) hinter dem Lenkrad, sondern nur ein Mini-Display für die Warnlichter. Der zentrale Bildschirm in der Mitte des Armaturenbretts zeigt sowohl die Fahrzeugdaten wie etwa Geschwindigkeit und Drehzahl (leider nur als Balken-Diagramm), ist aber gleichzeitig auch für Navi, Telefon und Radio zuständig.

So manch einer vermisst hier die traditionellen Rundinstrumente und manch einem ist der Blick in die Mitte zum Ablesen der km/h zu mühselig und zu gefährlich. Wir haben uns bei der Probefahrt schnell daran gewöhnt. Auf dem Lenkrad sticht uns ein roter Knopf ins Auge. Toot steht darauf, daneben ein stilisiertes Rad. Die Engländer nennen ihn „friendly horn“ (auf Deutsch: freundliche Hupe). Eine zweite nur halb so laute Hupe, wenn man Radfahrer ganz sanft warnen will, ohne dass die gleich vom Sattel fallen. Auch so ein Ding von Jim Ratcliffe, der als passionierter Biker auf diese Idee kam.
Diesel oder Benziner: Kein E-Antrieb für den Grenadier
Den Grenadier gibt es grundsätzlich in zwei Varianten. Als Utility Wagon, also die abgespeckte Variante fürs Grobe mit Lkw-Zulassung, bei dem die Sitzbank ein Stück weit nach vorne rutscht. Und als Station Wagon, quasi für die Zivilisten. Platz hat man vorne mehr als ausreichend, und auch hinten ergibt die Sitzprobe: Passt und ist auch tauglich für größere Menschen und Langstrecken. Wählen kann man auch zwischen den zwei BMW-Motoren. Den Sechszylinder-Benziner mit 286 PS oder den Sechszylinder-Diesel mit 249 PS. B58 und B57 sind feine Maschinen, das wissen wir.

Auch im Grenadier macht der Druck aufs Gaspedal einfach Spaß. Der Benziner zieht mächtig durch und schiebt sogar die knapp 2,7 Tonnen des Grenadiers flott über den Asphalt. Orchestriert wird das von einem sanften, dezenten Röhren. Da freut sich der Verbrenner-Freund. Nicht ganz so fröhlich nehmen wir den Verbrauch zur Kenntnis: 13 bis 16 Liter waren es bei unserem Test. Dabei waren auch „arbeitsintensive“ Offroad-Strecken.
Lenken wie im Lkw – das ärgert uns am Ineos Grenadier
Auf Asphalt bewegt sich der Grenadier sanft und leise wie eine Limousine. Unterhaltungen mit den Passagieren auf dem Rücksitz sind jederzeit stressfrei möglich, weil die Fahrgeräusche sich dezent im Hintergrund halten. Das kann man auch vom Fahrwerk behaupten. Die Stahlfedern mit den adaptiven Dämpfern stecken die Unebenheiten der Straße elegant weg. Die hoch aufgeschossene Karosserie wankt kaum spürbar in den Kurven, trotzdem tun wir uns mit einer sportlichen Fahrweise hart. Denn bei der Lenkung hat der Grenadier ein Problem. Eingebaut ist nämlich eine sogenannte Kugelumlauflenkung, die sonst hauptsächlich bei Transportfahrzeugen eingesetzt wird. Sie ist ziemlich unempfindlich und braucht große Lenkbewegungen. Mit anderen Worten: Sie nervt.

Wie Technik-Chef Hans-Peter Pessler uns verraten hat, wird an einer Verbesserung gearbeitet. Hoffentlich. Denn sonst lässt sich am Grenadier nicht viel aussetzen. Schon gar nicht im Gelände. Leiterrahmen, Starrachsen, viel Mechanik und wenig elektronische Assistenten – so lässt sich das Rüstzeug des Defender-Herausforderers beschreiben. Mühelos ackert er sich durch fette Schlammpassagen und bewältigt die übelsten Verschränkungen im Schiefer-Steinbruch. Die zentrale Differenzialsperre ist Serie, die zwei Extrasperren für vorne und hinten müssen zusätzlich geordert werden. Die braucht man auch, wenn man den gefährlichsten Highway Englands fahren will. Nur bei Ebbe und nur mit einem Führer darf man die Morecambe Bay auf einer nassen Sandpiste überqueren. Aber auch das bewältigt der Grenadier mit Bravour.
Besser als der neue Defender? Unser Fazit zum Ineos Grenadier
Nicht so ganz positiv ist der Preis. Die Defender-Alternative sollte eigentlich bei 40.000 Euro starten. Der zweisitzige Utility-Wagon liegt mittlerweile bei knapp 66.000, der Station Wagon entsprechend gut ausgestattet bei 75.000 Euro (Lieferzeit neun Monate). Trotzdem ist er damit immer noch günstiger als der Jeep Wrangler, die quasi immer ausverkaufte G-Klasse von Mercedes und natürlich auch als der neue Land Rover Defender, dem der Grenadier alles in allem nicht ganz das Wasser reichen kann. Als legitimer Nachfolger des alten Defenders allerdings macht der Newcomer eine ziemlich gute Figur. Von daher ist es kein Wunder, dass es den Grenadier sogar bei ausgesuchten Mercedes- und BMW-Händlern zu kaufen gibt. (Rudolf Bögel)
- Motor/Antrieb Sechszylinder-Benzinder oder -Diesel / Allrad
- Leistung/Drehmoment 286 PS/450 Nm / 249 PS/550 Nm
- V max / 0 -100 km/h 160 km/h / 8,6 s/ 9,9 s
- Länge/Breite/Höhe 4,90/1,93/2,04 m
- Bodenfreiheit/Wattiefe 246 mm/800 mm
- Böschungswinkel (vorne/hinten) 35,5/36,1 Grad
- Gepäckraum/Leergewicht 799 – 2035 l/ca. 2700 kg
- Verbrauch 10,3 – 11,8 (Benzin), 12,9 – 15,3 (Diesel)
- Preis: ab ca. 66.000 Euro