McLaren Elva im Test: Der Bolide hat weder Dach noch Windschutzscheibe – aber 815 PS

Der McLaren Elva ist ein extremes Auto: Der Bolide hat weder Dach noch Windschutzscheibe und wiegt nur knapp 1.150 Kilo – aber dafür hat er 815 PS.
Woking – Hach, das waren noch Zeiten, als die Rennfahrer echte Helden waren und ohne Dach beziehungsweise Schutzgestell nach Bestzeiten jagten. Jetzt lässt McLaren diese ruhmreiche Vergangenheit wieder aufleben und bringt selbst einen Roadster auf die Straße, wie er puristischer nicht sein könnte. Kein Dach, nicht mal eine Mini-Windschutzscheibe, wenig Gewicht, aber dafür jede Menge Power. In absoluten Zahlen bedeutet das 600 kW (815 PS), ein maximales Drehmoment von 800 Newtonmetern und ein Gewicht von lediglich 1.148 Kilogramm. Übersetzt heißt das: von null auf hundert in 2,8 Sekunden und weiter bis 327 km/h. Damit spielt der Elva sogar in der Liga des McLaren Senna – der Fahrmaschine schlechthin.
McLaren Elva im Test: Diese skurrilen Extras gibt’s wohl bei keinem anderen Auto dazu
Das Ganze ohne Windschutzscheibe? Da mutiert die steife Brise zum ausgewachsenen Orkan, doch in dessen Auge ist es alles andere als windstill. Damit es den Fahrer nicht aus dem Sitz hebt, haben sich die Briten einen Windschild ausgedacht, der die Luft am Kühlergrill knapp über dem Asphalt ansaugt und über einen Kanal bis zu einem Schild leitet und so den Fahrer aus dem Gröbsten heraushält. So weit das Konzept. Jetzt schwingen wir uns hinters Lenkrad: Die erste Überraschung folgt schon bei der Sitzverstellung, die nicht mehr dem bekannten Muster hoch, runter, vor und zurück folgt, sondern die passende Fahrposition in einem Schwung herstellt. Fährt man den Sitz ganz nach unten, geht die Rückenlehne etwas nach hinten. Der einmal festgelegte Abstand zu den Pedalen und dem Volant bleibt immer gleich. Die Feinjustierung der Lenkradsäule geschieht auf konventionelle Art und Weise. (McLaren Speedtail: Selten, teuer, nagelneu – auf Rennstrecke direkt gecrasht)

McLaren Elva im Test: Der radikale Brite bietet die Fahrprogramme Comfort, Sport und Track
Per Knopfdruck nehmen die acht Töpfe dumpf grollend ihre Arbeit auf. Sanft ruckt die britische Powerflunder an. In der Stadt helfen die fehlenden Dachstreben und die beiden Außenspiegel, die Umgebung im Blick zu behalten. Der reinrassige Roadster ist erstaunlich komfortabel und lässt sich auch durch Bremsschweller nicht aus der Ruhe bringen. Mit zwei Wippschaltern neben dem Cockpit stellt man den Elva scharf – rechts den Antriebsstrang und links die Traktion beziehungsweise die Regelsysteme. Zur Auswahl stehen Comfort, Sport und Track. Der Spaß beginnt schon im Sport-Fahrprogramm. Zumal das Röcheln, Saugen und Schlürfen des Achtenders fast ungefiltert auf den Fahrer einprügelt. Ausgeatmet wird durch vier Nüstern: zwei oben und zwei unten. (JP Kraemer hat Ärger mit seinem McLaren 720s: „Das nervt mich zu Tode“)

McLaren Elva im Test: Zwischen 40 km/h und 200 km/h arbeitet die Aeroschranke auf der Motorhaube
Die Akustikpeitsche schnalzt so inbrünstig und der Elva klebt so unerschütterlich auf der Straße, dass der Drang des rechten Fußes in einem Sturmlauf mündet. Jede Kurve ist ein Geschenk und jeder Spurt zwischen den Kehren nur die Ouvertüre zur nächsten Carving-Einlage. Die elektrohydraulische Lenkung macht ihrem Ruf als kommunikationsfreudiger Fahrstatusvermittler alle Ehre. Der Agilitätsdreiklang bestehend aus Einlenken, Winkel halten und progressiv aus der Ecke herausbeschleunigen, geht intuitiv und fast mühelos von Hand und Fuß. Das freundlich schiebende Heck ist Teil des Gesamtkunstwerks Elva und unterstützt die Richtungsänderungen wohlwollend, ohne dem Fahrer den Schweiß auf die Stirn zu treiben. (Donkervoort D8 GTO-JD70 im Test: Extrem schnell – mit Audi-Motor)
Der würde eh schnell trocknen, weil das Haupt stramm im Wind steht. Wer die Elemente ungefiltert spüren will, kann das beim McLaren haben. Vor allen anderen haben die britischen Ingenieure einen speziellen Schutzschild ersonnen. Zwischen 40 km/h und 200 km/h erhebt sich die Aeroschranke auf der Motorhaube und beruhigt die stürmischen Luftwirbel etwas. Das System erinnert an den Windabweiser des Mercedes E-Klasse Cabrios, das schnell den Spitznamen Rentnerplanke weghatte. Die Technik im Elva ist ausgetüftelter: Die Nase des Boliden sammelt Luft ein, beschleunigt diese mittels Kanälen und drückt sie nach dem Schutzschild nach oben. Gemeinsam mit der durch die Barriere umgeleiteten Strömung entsteht so eine Luftblase über dem Cockpit. Der Kniff erfüllt seinen Zweck, ab 120 km/h freut man sich über die Aerodynamikhilfe. Es kommt ohnehin noch genug im Gesicht an. Jenseits der 200 km/h verabschiedet sich das Schutzschild aber, auch um das Achtzylinder-Kraftwerk zu kühlen, wenn es zur Sache geht.

McLaren Elva im Test: Im Kaufpreis sind zwei kugelsichere Spezialbrillen inklusive
Damit man diesen Orkan auch unbeschadet übersteht, hat McLaren spezielle aerodynamisch geformte Helme entwickelt, die auch bei Tempo 300 nicht nach oben rutschen. Was fehlt, ist ein Visier. Spezielle Brillen, wie sie die US-amerikanischen Streitkräfte benutzen, schützen die Augen. „Diese Brillen halten sogar Schrapnellen aus und die Farbe der Gläser verändert sich mit der Sonneneinstrahlung, um die Kontraste besser zu betonen“, erklärt Chefingenieur Andrew Kay. Für die Briten stellt die 1,7-Millionen-Euro-Flunder eine Reise zurück in die Zukunft dar. Denn Bruce McLaren (32, † 1970) selbst fuhr am Steuer eines Elva in den 1960er-Jahren Siege ein.
Technische Daten McLaren Elva | |
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Motor/Getriebe/Antrieb | 4,0-Liter-Achtzylinder-Biturbo, Siebengang-DKG, Hinterradantrieb |
Leistung/Drehmoment | 600 kW (815 PS) / 800 Nm |
Vmax/0–100 km/h | 327 km/h / 2,8 s |
Leergewicht | 1.148 kg |
Basispreis | 1.695.000 Euro |
Das wird mit der Neuauflage eher schwierig. Sie ist eher für Sammler und Enthusiasten gedacht, von denen viele in den USA beheimatet sind. Wer sich seinen Roadster noch etwas individualisieren will, kann im Cockpit die Metallelemente in Platin oder Weißgold gestalten lassen. Das treibt den Preis entsprechend nach oben. Aber das ist die geringste Sorge der McLaren-Vertriebsexperten. Noch sind nicht alle Elvas verkauft. Statt der ursprünglich vorgesehenen 399 werden noch 149 gebaut. Die zwei kugelsicheren Brillen – Kostenpunkt jeweils 500 Euro – sind übrigens serienmäßig, genauso wie die Helme. (Von Wolfgang Gomoll/press-inform)