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„Sind uns um Lichtjahre voraus“: Warum China für die deutschen Autobauer verloren ist

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Von: Christian Domke Seidel

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Deutsche Elektroautos sind in China ein Ladenhüter. Und das dürfte auch so bleiben. Das Problem sei hausgemacht, sagt ein hochrangiger Mercedes-Insider.

Dieser Text liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem China.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn China.Table am 16. März 2023.

Peking – Die deutschen Autohersteller nehmen auf dem chinesischen Automarkt verstärkt die Rolle eines Zuschauers ein. Im boomenden Markt für Elektroautos hat Volkswagen gerade einmal 2,4 Prozent Marktanteil. BMW und Mercedes sogar unter einem Prozent, wie Zahlen der staatlichen Kfz-Versicherung zeigen. Das Problem sei hausgemacht, erklärt ein hochrangiger Mercedes-Insider gegenüber Table.Media. Die Joint-Ventures mit Konkurrenten aus der Volksrepublik seien langfristig betrachtet ein Fehler gewesen und der technische Vorsprung chinesischer Hersteller bei der E-Mobilität nicht mehr aufzuholen.

Lange Zeit hatten deutsche Automobilhersteller nur Zugang zum chinesischen Markt, wenn sie ein Joint Venture mit einem Partner aus der Volksrepublik eingingen. Das erlaubte zwar den Verkauf der Fahrzeuge auf dem größten Markt der Welt, führte jedoch auch zu einem enormen Wissenstransfer. Das bestreiten auch die Autohersteller nicht. „Die Joint-Venture-Gründung waren bekanntermaßen bis vor wenigen Jahren obligatorisch in China – auch die Entwicklung bestimmter zentraler Komponenten im Land. Natürlich ist dadurch Entwicklungs- und Fertigungs-Know-how nach China geflossen“, führt eine Sprecherin von BMW gegenüber Table.Media aus.

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Deutsche Autobauer in China: Joint Ventures werden zum Boomerang

Entsprechend positiv sieht ein Volkswagen-Sprecher die Abschaffung der Joint-Venture-Pflicht Anfang vergangenen Jahres: „Wir begrüßen die weitere Öffnung des chinesischen Automobilmarktes, die es ausländischen Unternehmen ermöglicht, nicht nur Komponentenwerke eigenständig zu betreiben, sondern auch eigene Fahrzeugproduktion aufzubauen. Wir sind davon überzeugt, dass gleiche Wettbewerbsbedingungen der Schlüssel zur weiteren positiven Entwicklung der chinesischen Automobilindustrie ist.“

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Die Frage ist, ob der Schritt nicht zu spät kommt. Chinesische Hersteller produzieren Fahrzeuge, die deutschen Modellen kaum nachstehen. Der Elektroautoboom macht deutlich, dass sie in Teilbereichen sogar einen enormen Vorsprung aufgebaut haben. Beispielsweise bei der Software-Integration, Fahrassistenten und dem autonomen Fahren. So verkündete Mercedes im Januar 2023, als erster Hersteller eine Zertifizierung für automatisiertes Fahren nach Level 3 für den US-amerikanischen Straßenverkehr im Bundesstaat Nevada erhalten zu haben. In Shenzhen sammeln chinesische Fahrzeuge längst Testkilometer auf Level 5.

E-Autos: Wollen die Kunden es billig oder fortschrittlich?

Auf die technischen Fortschritte angesprochen, stellt eine Unternehmenssprecherin von BMW die Gegenfrage: „Wo sehen Sie die Konkurrenz auf Augenhöhe?“ Sie verweist darauf, dass der chinesische Markt ein Volumenmarkt und die Kunden sehr preissensitiv seien. Auch Mercedes betont gegenüber Table.Media vor allem auf Premiumprodukte zu setzen. „Das Elektrofahrzeugsegment in China steht noch am Anfang einer vielversprechenden Entwicklung, insbesondere für Autos mit einem Preis von über einer Million Renminbi.“ Das sind rund 100.000 Euro. „Das größte Wachstum im Elektrofahrzeugsegment in China findet aktuell im Preissegment um die 300.000 Renminbi statt.“ Mercedes sehe seine Chance im Top-End-Bereich der Elektroautos.

Doch selbst im günstigen Bereich gibt es Techniken, die bei Premiumherstellern längst nicht üblich sind. So bietet der Elektro-Kleinwagen Dolphin von BYD (umgerechnet 14.000 Euro) ein 800-Volt-Bordnetz. Eine Technologie, die sich in China gerade zum neuen Standard entwickelt. Bei den deutschen Mitbewerbern gibt es sie nur im Porsche Taycan und Audi E-Tron GT.

Deutsche Hersteller können Rückstand in China kaum aufholen

Offiziell weisen die deutschen Anbieter die Risiken von sich. „Wir sind langfristig und strategisch unterwegs, kurzfristige Entwicklungen werden wahrgenommen und analysiert. Aktuell ist aus unserer Sicht kein Risiko erkennbar“, so die BMW-Sprecherin.

Eine Meinung, die der Mercedes-Insider skeptisch sieht. „Der Wissenstransfer war töricht. Langfristig haben sich die deutschen Hersteller damit ihr eigenes Grab geschaufelt.“ Denn an eine erfolgreiche Aufholjagd der deutschen Hersteller glaubt er nicht.

„Die sind uns um Lichtjahre voraus, die Angewohnheiten und Wünsche der Kunden zu berücksichtigen. Wir sind gefangen in Regularien und Prozessen.“ Chinesische Hersteller würden Kundenwünsche umgehend umsetzen. Ein Beispiel sei die Sleeper-Funktion. Dabei stellt das Auto die Sitze in die Horizontale, der Wagen heizt sich vor und filtert die Luft. Chinesische Kunden könnten dann in der Mittagspause kurz 30 Minuten im Auto schlafen. Obwohl es nicht mehr ist als die Verknüpfung bereits vorhandener Technologien, müssen deutsche Hersteller in China dazu monatelange interne Abstimmungsprozesse durchlaufen. Chinesische OEM setzen so etwas einfach um.

Produktion bei BYD in der Stadt Xi‘an
Produktion bei BYD in der Stadt Xi‘an: Beim Thema E-Mobilität haben die chinesischen Hersteller die Nase vorn. © IMAGO/Shao Rui

VW will in China dynamischer werden

Volkswagen reagierte mit dem Aufbau neuer Strukturen. „Zentrales Element der Neuaufstellung ist ein regionales China Board unter der Leitung von Ralf Brandstätter, Volkswagen-Konzernvorstand für China, das markenübergreifend und im engen Austausch mit den Joint Venture-Gesellschaften die wesentlichen Entscheidungen in der Region trifft“, so der VW-Sprecher. Volkswagen nennt seine Strategie „in China, für China“.

Viel Hoffnung setzte VW in die Partnerschaft von Cariad mit Horizon Robotics, einem der führenden Anbieter von Computing-Plattformen für smarte Fahrzeuge. Diese werde die „regionale Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen (ADAS) und autonomen Fahrsystemen (AD) für den chinesischen Markt beschleunigen.“

Den Nutzen dieser Bemühungen – zumindest für die deutsche Wirtschaft – zweifeln Expertinnen aber längst an. Darauf angesprochen erklärt eine Sprecherin von BMW gegenüber Table.Media: „Der chinesische Markt ist für die BMW Group der absatzstärkste, und wir sehen weiteres Potenzial. Unsere lokale Produktion vor Ort für den Inlandsmarkt sichert auch Arbeitsplätze in Deutschland.“ Zwar sehen auch externe Beobachter das Wachstumspotenzial, bezweifeln aber, dass das China-Geschäft Arbeitsplätze in Deutschland sichert. Laut einer Studie des China-Forschungsinstituts Merics profitiere die Wirtschaft der Volksrepublik längst deutlich mehr von den Investitionen als die deutsche.

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