Pick-up-Trend: Schon wieder vorbei, bevor er überhaupt begonnen hat
Mercedes hat nach kurzer Bauzeit seine X-Klasse wieder auslaufen lassen. Darum funktionieren die in den USA so beliebten Pick-ups hierzulande nicht.
Stuttgart – Vorne wie ein SUV und entsprechend repräsentativ und abenteuerlustig, mit erhöhter Sitzposition, dazu kräftige Motoren und Allrad-Antrieb: Kein Wunder, dass Pick-ups ein Erfolgs-Segment sind. Vor allem in den USA. Dort boomen die stattlichen „Trucks“, erledigen robuste Transportaufgaben und tuckern lässig über die Boulevards der Citys. Und da von Netflix bis zum iPhone alles, was in Amerika angesagt ist, auch in Deutschland funktioniert, müsste das auch für diese Autoklasse gelten – dachten sich einige Hersteller. Moderne Modelle wie VW Amarok, Toyota Hilux oder die Mercedes X-Klasse sollten hierzulande den biederen Pritschenwagen der Gärtner, Bauleiter und Hausmeister zum Lifestyle-Produkt adeln. Sogar Porsche liebäugelte schon mal mit der Idee, den Cayenne mit Ladefläche anzubieten. (Toyota Hilux im Test: Robust und zuverlässig – mit bisschen Pkw-Komfort)
Pick-up-Trend: Schon wieder vorbei, bevor er überhaupt begonnen hat
Doch der europäische Boom ist abgesagt, noch bevor er richtig begonnen hat, viele Hersteller ziehen sich vom Markt zurück. Prominentestes Opfer ist die Mercedes X-Klasse. Nach gerade einmal zweieinhalb Jahren Bauzeit lief bereits im vergangenen Jahr das letzte Exemplar des gemeinsam mit Nissan gebauten Allradlers vom Band. Zuvor hatten die Stuttgarter bereits den eigentlich geplanten Markteintritt in Südamerika gestrichen. Zu gering war dort wie hier das Kunden-Interesse.

Dabei wirkte die Europäisierung des Pick-ups nicht nur für Daimler wie eine gute Idee. Vor gut einem Jahrzehnt starteten gleich mehrere Hersteller eine Pritschenwagen-Offensive: Angeführt vom VW Amarok drängten neben dem Mercedes auch der Renault Alaskan und der Fiat Fullback ins Segment. Beherrscht wurde es von wenigen in Asien erfolgreichen Platzhirschen mittlerer Größe wie Nissan Navara, Mitsubishi L200 und Toyota Hilux. Vorbild waren die in den USA populären, wuchtigen Full-Size-Pick-ups. Nicht nur technisch, sondern vor allem kommerziell: Die eher einfach konstruierten, aber stark motorisierten Trucks sind wahre Margen-Raketen. Ford etwa verdient weltweit an keinem Modell mehr Geld als an seinem F-150, dem immerhin meistverkauften Autos der USA. Bei den Konkurrenten Chevrolet Silverado und dem Ram von Dodge sieht das ähnlich aus. (Tesla Cybertruck: Kantiger Elektro-Pick-up könnte sündhaft teuer werden)
Pick-up-Trend: Schon wieder vorbei – gescheitert an deutschen Parkhäusern
Doch in Europa ging das Konzept nicht auf. Auch wenn X-Klasse und Co. mit gut fünf Metern Länge deutlich kompakter sind als ihre amerikanischen Verwandten, wirkten sie doch in Altstädten, Parkhäusern und selbst vor dem Baumarkt oft deplatziert. Ihre praktischen Vorteile konnten sie im Gegenzug häufig nicht ausspielen: Die Ladefläche ist vielleicht für Rindenmulch geeignet, der Wochenendeinkauf hingegen muss umständlich festgezurrt und gegen den in diesen Breiten nicht selten auftretenden Regen geschützt werden. Dazu gesellen sich bei manchen Modellen gelegentlich ruppiges Fahrverhalten, ein recht hoher Verbrauch und ein nicht eben dezenter Auftritt, der in den USA besser ankommt als hierzulande. Und gerade dort, wo sich Kunden einen Truck wie erhofft als Lifestyle-Gefährt zulegen, quittieren die Nachbarn im Wohnviertel das nicht selten mit hochgezogenen Augenbrauen. (Mann entdeckt Chevrolet Silverado – und begeistert mit herzlicher Aktion)
Pick-up-Trend: Schon wieder vorbei – Trucks taugen nicht für Nobelmarken
Dazu kam ein grundlegendes Missverständnis der Premiummarke Mercedes, das schon die R-Klasse, den Oberklasse-Van, erledigte: Beide Segmente, Großraum-Limousinen wie Pick-ups, gelten in den USA und auch Europa als Budget-Modelle, für die man selbst mit Stern keinen hohen Preis verlangen kann. Es hat durchaus seinen Grund, dass Porsche die Idee eines Pritschen-Cayenne wieder beerdigte und Marken wie BMW und Audi gar nicht erst darauf kamen.
Doch auch die Verkaufszahlen der Volumenmarken sackten hierzulande nach einem kurzen Strohfeuer wieder ab. Stieg der Absatz in Europa laut Beratungsagentur Inovev von rund 50.000 Einheiten im Jahr 2013 innerhalb von fünf Jahren noch auf 114.000 Fahrzeuge, fanden nur ein Jahr später lediglich 105.000 Autos einen Käufer. Im Corona-Jahr 2020 sanken die Zulassungen auf 75.000 Einheiten. Und obwohl sich der Markt in Europa zuletzt wieder etwas erholt hat, rollten auch in den ersten sechs Monaten dieses Jahres kaum 50.000 neue Einheiten auf die Straße. Angesichts des gewachsenen Angebots war das deutlich zu wenig Nachfrage: Zwischenzeitlich musste sich ein gutes Dutzend unterschiedlicher Modelle die wenigen Interessenten teilen.
Pick-up-Trend: Schon wieder vorbei – Modelle verschwinden aus Europa
Neben Mercedes reagierten auch die anderen Hersteller. Der Renault Alaskan ist ebenso verschwunden wie der Fiat Fullback. Und auch Nissan will den Navara auf dem Kontinent künftig nicht mehr anbieten. Selbst VW, als Vollsegment-Anbieter mit starker Südamerika- und Asien-Präsenz eigentlich prädestiniert für einen Pick-up, lässt die nächste Generation des Amarok von Ford bauen. Deren Ranger dürfte zu den handverlesenen Gewinnern des Pritschenwagen-Abschwungs zählen, muss er sich den Europa-Markt doch künftig wieder mit weniger Konkurrenten teilen. Auch wenn das erhoffte Wachstum ausgeblieben ist: Einen kleinen Markt für die robusten Pritschenwagen gibt es hier auch weiterhin. Allerdings reicht der nicht mal dafür, dass Ford seinen spannenden elektrischen F-150 Lightning nach Europa exportieren mag. (Mit Material von SP-X)
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