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Einmal günstig, einmal teuer: MG4 Electric und Nio ET7 – Wie gut ist Made in China?

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Von: Rudolf Bögel

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Götterdämmerung in der Automobilbranche? Überrollen die Chinesen mit ihren E-Autos die Deutschen? Doppeltest von MG4 Electric und Nio ET7.

Die Chinesen nehmen die deutschen Autohersteller in die Zange. Mit dem mindestens 70.000 Euro teuren Luxus-Liner ET7 greift Nio im Premiumsegment an. Am unteren Ende der Preisskala versucht es MG mit einem elektrischen Volkswagen: Das Modell 4 gibt es nach Abzug der Prämien schon für rund 25.000 Euro. Der Angriff aus dem Reich der Mitte rollt– und anders als früher bringen die Chinesen keine billigen optischen Kopien auf den Markt, mit fragwürdiger Qualität (wie einst das Billig-E-Auto Suda SA01) und Technik. Und bei der Software sind sie deutschen Herstellern oft sogar überlegen. Nio ET7, der neue Daimler? MG4, der neue VW? Wir haben beide Modelle beim Fahrtest unter die Lupe genommen.

MG 4 Electric orange volle Fahrt
Aufmüpfig, agil und wendig. Der MG4 Electric mischt die Kompaktklasse mit Sportlichkeit auf. © MG

MG4 Electric – Made in China marschiert

MG – da war doch was? Die beiden Buchstaben standen den 1950er und 1960er Jahren für bezahlbare Spaß-Sportwagen aus England. Stil jedenfalls hatten sie, nur bei der Technik haperte es gelegentlich. Der Untergang der britischen Automobilindustrie in den 70er Jahren riss auch MG in den Abgrund und über Umwege landete die Marke bei SAIC, einem großen chinesischen Konzern. SAIC – da war doch auch was? Die Chinesen bauen schon seit Jahrzehnten Autos für den Volkswagen-Konzern. Expertise genug, um es selbst zu probieren. Mit wachsendem Erfolg. Über 10.000 verkaufte Exemplare allein in Deutschland – so viel wie noch nie, vermeldet MG im November stolz.

MG4 bietet viel Auto für kleines Geld

Noch eine kleine Zahlenspielerei: Fast jedes zweite in Europa angebotene Elektroauto kostet mehr als 50.000 Euro. Auswahl und Konkurrenz sind reichlich, oft stattliche SUVs mit viel Leistung. Im Klein- und Kompaktwagensektor herrscht im Vergleich dazu fast schon Leere. Opel Corsa-e, Renault Zoe, Fiat 500e – dazu der elektrische Mini und der knuffige Honda-e. Basta con la musica. Zumindest im Augenblick, denn jetzt kommen die Chinesen und geben vielleicht schon bald den Ton an. Beispiel MG4 Electric: Er kostet in der Basisversion mit 170 PS und 350 Kilometer Reichweite knapp 32.000 Euro. Zieht man die neue Umweltprämie in Höhe von maximal 6.750 Euro ab, landet man bei rund 25.000 Euro. Und dafür bekommt man jede Menge Auto. Mit einer progressiven Optik, die der ein oder andere als gewöhnungsbedürftig einstufen könnte.

MG 4 Electric Detail Heck Spoiler
Theke und Bierhenkel. Der MG4 Electric besticht durch sein progressives Heckteil, das auch noch recht geheimnisvoll leuchtet. © MG

Beim Aufladen wird das Handy im MG4 zum Spielball

Da wäre zum einen das adrett beleuchtete Entenbürzel-Heck, das auch als Theke missverstanden werden könnte. Oder die beiden dazu passenden Bierhenkel am Dach, die als Spoiler für eine bessere Aerodynamik sorgen sollen. Zumindest sieht der MG4 damit unverwechselbar aus. Aufgefallen sind wir damit allemal in München. Eher konservativ präsentiert sich das Interieur-Design: Kleines Info-Display hinter dem Lenkrad, Infotainment-Bildschirm in der Mitte. Darunter ragt ein kleines Tablett aus dem Armaturenbrett und serviert den drehbaren Ganghebel sowie eine Mulde zum drahtlosen Aufladen des Smartphones. Funktioniert anstandslos im Stand, in den Kurven wird das Handy zum Spielball der Fliehkräfte.

Abzüge gibt es auch beim Infotainment, der berührungsempfindliche Bildschirm verdient dieses Attribut definitiv nicht. Das Bedienungsmenü ist unübersichtlich. Letzter Punkt auf unserer Negativliste: Es mag zwar sein, dass die Batteriezellen im Unterboden niedriger sind als eine Cola-Dose. Warum der Karosserie-Steg bei den Türen so breit geworden ist, dass man Mühe hat einzusteigen, bleibt ein Geheimnis. Auch hinten muss man die ein oder andere Verrenkung akzeptieren, wenn man Platz nehmen will. Sitzt man erst, hat man vorne reichlich, hinten ausreichend Platz.

MG 4 Electric Armaturenbrett Hand-Ablage
Der Touch-Screen des MG4 Electric reagiert unsensibel auf Berührungen, das Menü ist unübersichtlich. In der Konsole darunter befindet sich die Ladestation für das Handy. © MG

Der MG4 ist ein Spaßmobil, wendig und ungestüm

Jetzt zum vergnüglichen Teil des Tests. Sobald man auf die Bremse tritt, fährt das System hoch. Kein Startknopf mehr, das ist ja bei E-Autos in Mode. Die Luxury-Variante verfügt über etwas mehr Power als das Standard-Modell. Statt 150 sind es 204 PS und die Batterie ist mit 64 kWh auch größer. Bringt insgesamt 435 Kilometer Reichweite. Kostet dann aber schon knapp 38.000 Euro. Was die Beschleunigungswerte angeht, gibt es wegen des höheren Akku-Gewichts jedoch kaum einen Unterschied. 235 Nm Drehmoment legen sofort und ungestüm los. Das fühlt sportlich an, weil die ganze Kraft auf die Hinterräder kommt. Wer es darauf anlegt, kann das Heck in den Kurven schon in Schwingung bringen. Der MG4 fährt sich flott und agil. Das Gewicht ist wie bei einem Sportwagen 50:50 auf Vorder- und Hinterachse verteilt, das schafft Vertrauen. Auch beim Fahrwerk und an der Lenkung gibt es nichts auszusetzen. Im Gegenteil. Die Federung ist je nach Bedarf und Einstellung wahlweise herzlich und komfortabel oder bretthart. Zudem ist der Elektro-Chinese extrem wendig. Nur 10,6 Meter, dann ist der (Wende-)kreis vollendet.

Nio ET7 Detail Innenraum
Charme-Offensive aus der digitalen Welt. Nomi heißt die Sprachassistentin des Nio ET7, die sogar mit den Augen zwinkern kann. © Nio

MG4 – Vorsicht beim pilotierten Fahren

Bei den Assistenzsystemen bietet MG von Stau- bis Spurhalteassistent das Übliche an, sogar pilotiertes Fahren ist möglich. Dass das System manchmal Eigensinn entwickelt und wie in unserem Fall, statt geradeaus zu fahren, der Abbiegespur folgen wollte, dürften die Ingenieure über Software-Updates auch noch in den Griff kriegen. Technologisch stark zeigt sich MG beim Thema Elektrozubehör: In der Luxury-Variante ist die Wärmepumpe schon mit an Bord, auch kann das Auto externe Geräte aufladen. Beim Selbstladen zeigt sich hingegen eine Schwäche. Das Maximum liegt bei 117 (Standard) respektive 135 kW, damit dauert es 40 respektive 35 Minuten bis wieder 80 Prozent Leistung drin sind.

Nio ET7: Akku tauschen statt Aufladen

Das Problem haben Kunden von Nio nicht. Bei den Luxusfahrzeugen, deren Flaggschiff die Limousine ET7 ist, wird der komplette Akku getauscht Und zwar an den sogenannten Power Swap Stationen (PSS). In China gibt es über 1000 davon, in Deutschland sollen es 100 werden. Eine befindet sich auf der A8 bei Zusmarshausen. Hier probieren wir die Technik aus. Von außen wirkt die Akku-Wechselstation wie eine Kreuzung aus Autowaschanlage und Doppelgarage. Zwar bleibt der Fahrer sitzen, aber das Einparken auf die Hebebühne erfolgt automatisch. Genauso geht es auch weiter. Ein Roboter löst die Schrauben, fährt den alten Akku weg, flanscht die neue Batterie an. Zuschrauben, nach fünf Minuten hat man je nach Akkugröße (75 oder 100 kWh) wieder eine Reichweite zwischen 445 und 580 Kilometern.

Nio ET7 Front
Extrem flache Tagscheinwerfer geben dem ET7 einen verwegenen Gesichtsausdruck. Die Sensoren sind bewusst auffällig platziert auf dem Dach. © Nio

Nio ET7 – teures Leasing, noch teurerer Kauf

Praktisch – aber jetzt kommt der Pferdefuß. Dieser Service gilt nur für Kunden, die einen Nio für Preise zwischen 1.000 und 1.500 Euro monatlich komplett leasen. Oder den ET7 kaufen – die Batterie muss dann aber noch dazu gemietet werden für 169 (kleiner Akku) oder 289 Euro monatlich. Man kann die Akkus auch käuflich erwerben. Für sündteure 12.000 respektive 21.000 Euro. Dann dürfen sie aber nicht an einer PSS ausgetauscht werden, sondern können nur aufgeladen werden (bis zu 130 kW, DC). Klingt kompliziert – und ist es auch. Hier sind kühle Rechner gefragt. Aber wie man es auch dreht und wendet: Billig wird das Vergnügen Nio nicht, mit Jahresleasingraten zwischen 12.000 und 18.000 Euro, oder einem Kaufpreis von knapp 70.000 Euro und zusätzlichen Akku-Mieten von 2.000 bis 3.500 Euro jährlich.

Nio ET7: zwei E-Maschinen, Allrad, 3,8 Sekunden von 0 auf 100

Eigentlich schade, denn die ET7-Limousinen sind gut verarbeitete Luxusautos mit Allradantrieb und zwei E-Motoren, die mit 653 PS gewaltigen Vortrieb entwickeln und unter vier Sekunden Tempo 100 erreichen. Die Luftfederung sorgt für Komfort und straffe Fahrweise je nach Wunsch – und auch die 20-Zöller stehen dem Edel-Chinesen gut. Panorama-Glasdach, sanft schließende Türen, Sitzheizung und -belüftung, sowie ein Soundsystem mit 23 Lautsprechern und 1000 Watt erfüllen auch höhere Ansprüche. Technologisch fährt Nio noch größere Geschütze auf. Der ET7 ist ein Superrechner auf vier Rädern, der acht Gigabyte Daten pro Sekunde verarbeitet. 33 Sensoren, elf hochauflösende Kameras, fünf Radarsysteme – und das fortschrittliche Lidar (Licht-Radar) sollen den Traum vom autonomen Fahren Wirklichkeit werden lassen.

Zu mäkeln gibt es außer dem Preis nur wenig. Die Sprachassistentin Nomi mit ihrer blechernen Stimme verspricht mit einem Augenzwinkern sich zu bessern. Ist auch nötig. Lademöglichkeiten gibt es im Fond nicht wirklich viele – das vielleicht größte Manko ist die fehlende Geräuschdämmung. Ab 120 km/h wird es laut im Auto, am Fahrbahnbelag der streckenweise recht neuen Autobahn A8 kann es nicht gelegen haben.

Nio ET7 Interieur
Luxusklasse aus China. Das Interieur des Nio ET7 ist edel, wertig und auch gut verarbeitet. © Nio

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MG4 und Nio ET7 – so gefährlich werden sie den Deutschen

Technologisch aufgerüstet, qualitativ ebenbürtig – wie gefährlich werden Nio und MG der deutschen Konkurrenz? Im Luxus-Segment haben die Chinesen das große Manko, dass sie keinen klingenden Premium-Namen haben wie Mercedes oder BMW. Von daher, müssen die Deutschen am Heimatmarkt nicht alarmiert sein. In China und den USA mag das anders aussehen. Viel gefährlicher werden aber solche Autos wie der MG4 Electric. So viel Spaß, so viel Technik, und das Ganze zu einem wirklich marktfähigen Preis – das bietet kein deutscher Hersteller. Dieser MG4 könnte ein Volkswagen der Elektro-Generation werden. Aber nicht nur ein Golf, sondern schon ein Golf GTI, weil noch ein unglaublicher Fahrspaß dazukommt. Rudolf Bögel

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