Kia Stinger: Letzte Ausfahrt mit dem BMW-Schreck

Bye, bye Stinger – die Sportlimousine von Kia nimmt Abschied. Sie hatte 366 PS und das echte Zeug zum BMW- und Audi-Schreck. Eine letzte Ausfahrt.
- Der Stinger ist die erste und letzte klassische Sportlimousine von Kia.
- Kampf um Premium-Kunden: Coupé hatte Audi, BMW und Co im Visier.
- Schnell, schick und günstig – trotzdem scheiterte der Koreaner.
Der Stachel sticht nicht mehr lange. Schon im zweiten Quartal 2022 könnte Kia den letzten Stinger (=Stachel) produzieren. Das Aus für die Sportlimousine käme damit schon in der ersten Modellgeneration. Schade. Denn bei diesem Auto ist sich die Fachwelt ausnahmsweise einig. Für die Süddeutsche Zeitung beispielsweise ist der Stinger „das beste Coupé, das BMW nie gebaut hat“, der ADAC urteilt „Fahrspaß garantiert!“ und die Fachzeitschrift Auto, Motor, Sport (AMS) kommt zu dem Schluss „Mehr Reise- als Rasewagen“. Eigentlich sollte man sich ja nicht selbst zitieren, aber beim Test des ersten Stingers urteilten wir: „Kia Stinger - übersetzt heißt das der Stachel* oder die Spitze. Und so etwas wie die Speerspitze ist der Stinger auch für Kia. In dieser Sport-Limousine zeigen die Koreaner, was sie so draufhaben. Und das ist jede Menge.“
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Kia Stinger: Das ist neu beim Facelift
Und jetzt das Facelift der ersten Generation, die wohl auch die letzte sein wird. Was hat sich verändert? Ein paar einfache Federstriche in der Karosserie, ein zeitgemäßes Digital-Display, aber vor allem die Motorisierung. Erhältlich ist der Stinger nur noch mit dem 366-PS-Turbobenziner. Sowohl die abgespeckte Vierzylinder-Variante mit 245 PS als auch der 2,2-Liter-Turbodiesel mit 200 Pferdestärken sind Geschichte. Gut so. Denn weniger als der Dreiliter-V6 sollte es bei dieser Limousine nicht sein. Ebenfalls nur noch auf dem Gebrauchtwagenmarkt verfügbar ist der reine Hinterradantrieb. Das neue Modell gibt es nur noch in der Allrad-Variante. Die Techniker haben den 4-Wheel-Drive dafür aber extrem hecklastig ausgelegt, wie es sich für eine Limousine mit sportlichen Ambitionen gehört.

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Warum der Kia Stinger so gut ist wie ein M-BMW
Kommt Ihnen das bekannt vor? Sportlimousine, Coupe, hecklastiger Antrieb? Richtig, dafür steht normalerweise der mächtige Buchstabe M bei den Bayerischen Motoren Werken. Von dort kommt auch einer der Macher des Kia Stinger. Albert Biermann heißt er, lange Jahre war er auf wechselnden Positionen bei BMW tätig, am Ende sogar Vizepräsident der M GmbH. Anno 2015 wechselte er zum Hyundai Konzern, wo er zunächst für die Performance-Modelle (Stinger, Hyundai-N) zuständig war, bevor er zum Entwicklungschef des Gesamtkonzerns aufstieg. Das war zu einer Zeit, als Deutsch die erste Fremdsprache in den Vorstandetagen der Koreaner war. Denn für das Design von Kia, Hyundai und Genesis zeichnete ebenfalls ein Deutscher verantwortlich. Peter Schreyer, ein gebürtiger Bayer, arbeitete vorher für den Volkswagen-Konzern und entwarf mit Audi A2, Golf IV und Audi TT echte Ikonen des modernen Automobilbaus.

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Selten aber gut – hat der Kia Potenzial für Autosammler?
Es mag ja sein, dass Schreyer und Biermann ihre Handschrift hinterließen auf dem Kia Stinger. Den Mut, so ein Auto auf den Markt zu bringen, den hatte aber der koreanische Konzern, der damit den Beweis antreten wollte, auch Premium-Autos anbieten zu können. Aus heutiger Sicht muss man sagen: Die Operation ist gelungen, auch wenn der Patient bald tot ist. Die Verkaufszahlen zu gering – außerdem machen Nachhaltigkeitsdebatten und die Elektromobilitätswende solchen Autos den Garaus. Damit wird der Stinger wohl seinen Seltenheitswert beibehalten – und zählt deshalb unter Umständen zu den Karossen, die auch in ein paar Jahren auf dem Gebrauchtwagenmarkt noch eine große Anziehungskraft haben werden. Dafür sorgt schon das Design. Tigernase, kurze Überhänge, Coupé-Linie – mit diesem Dreiklang verschafft Schreyer dem Stinger dort Gehör, wo ein Mercedes AMG schon gar nicht mehr auffällt. Bei den Testfahrten jedenfalls staunen die Passanten und die Daumen recken sich nach oben. Stinger? So ein Auto haben viele noch nicht gesehen, für die meisten ist dieser Namen lediglich mit der WM 2018 in Russland verbunden. Kia war damals einer der Hauptsponsoren - auf der Bandenwerbung stand fast bei jedem Spiel in dicken Buchstaben: Stinger.
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V-6-Motor, 510 Nm Drehmoment – da geht was
Eine Taube macht noch keinen Frühling. Und eine Fußball-WM keinen Kassenschlager. Obwohl der Auftritt beeindruckend, und die Fahrleistungen noch überzeugender sind, mangelt es dem Stinger an Erfolg. Der V6-Motor, klangunterstützt von vier Auspuffrohren, hat immer noch ein paar Pferdestärken in Reserve, auch wenn man schon ziemlich flott unterwegs ist. Überzeugend ist das Drehmoment von 510 Newtonmetern (Nm), das schon bei 1.300 Umdrehungen pro Minute einsetzt. Das stellt jeden Diesel in den Schatten. Volle Kanne schon beim geringsten Tritt auf das Gaspedal. Da fühlen sich sogar die 1,9 Tonnen Blech, Alu und Kunststoff so leicht wie eine Feder an. Daten-Fetischisten mögen die 5,4 Sekunden von 0 auf Tempo 100 für wenig überzeugend halten. Gefühlt sitzen wir mindestens in einem zweisitzigen Sportwagen und nicht in einer Limousine für fünf Personen. Letzteres wagen wir zu bezweifeln, zumindest was Erwachsene angeht. Zwei Heranwachsende okay, aber im Notfall fährt man ja auch S-Bahn in den Stoßzeiten.

Fast alles mit allem – für knapp 60.000 Euro
Das Fahrwerk des Stinger ist so wie der Motor. Es beherrscht perfekt den Spagat zwischen sportlich-hart und komfortabel-bequem. „Mehr Reise- als Rasewagen“ – die Einschätzung der Kollegen von AMS kann man getrost teilen. Wir sind mit dem Stinger von München nach Saarbrücken und zurückgefahren und können diesem Auto nur Bestnoten geben, was lange Strecken angeht. Da tut kein Rücken weh, da kribbelt kein Bein – und wenn man Spaß haben will, dann latscht man einfach auf das Gas und dreht den Motor aus. Unterstützt wird man dabei von den modernsten elektronischen Assistenten, die Hyundai, Kia & Co so im Angebot haben. Spurwechsel-Assistent, Tot-Winkel-Kamera, künstlicher Entspannungssound – das alles ist schon mit an Bord beim Grundpreis von knapp 60.000 Euro. Ein paar Cent mehr muss man allerdings beim Betrieb des Stinger mitnehmen. Denn die 10,4 Liter Verbrauch im Normalbetrieb wird man in echt nie ablesen. Da liegt man eher bei zwölf Litern.

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Unser tränenreiches Fazit zum Kia Stinger
Bye, bye Stinger. Mit Wehmut steigen wir aus dem Sport-Coupé, aus der ersten und letzten Power-Limousine von Kia mit Verbrennungsmotor. Nicht auszumalen, was die Koreaner auf die Räder gestellt hätten, wenn sie einen echten Sportwagen gebaut hätten. So einen Zweisitzer mit Mittelmotor, Heckantrieb und so. Aber für derartige Sentimentalitäten ist hier kein Platz. Und außerdem gibt es ja den Kia EV6, der den überzeugenden Beweis antritt, dass auch Batterien und E-Motoren sexy sein können.
Technische Daten Kia Stinger 3.3 T-GDI
- Motor: Sechszylinder-Turbo-Benziner
- Hubraum: 3.342 ccm
- Leistung: 269 kW (366 PS)
- Drehmoment: 510 Nm bei 1.300 U/min
- Antrieb: Automatik, Allrad
- 0 – 100 km/h: 5,4 s
- Höchstgeschwindigkeit: 270 km/h
- Normverbrauch: 10,4 l
- CO2-Ausstoß: 238 g/km
- Länge/Breite/Höhe: 4,83/1,87/1,40 m
- Leergewicht/Zul.: 1.880/445 kg
- Anhängelast (gebr.): 1.000 kg
- Kofferraum: 406 – 1.114 l
- Preis: ab 58.900 Euro
Rudolf Bögel *tz.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.