Hersteller und Zulieferer: Wie geht es mit Corona durch Winter?
Wer meint, die Halbleiterkrise würde nach rund zwei Jahren der Vergangenheit angehören, irrt. Die Hersteller können die Nachfrage noch nicht bedienen.
Auch wenn die Inzidenzen gerade wieder steigen und die Bundesregierung vor einem gefährlichen Pandemiewinter warnt: Für viele scheint die Pandemie beinahe vergessen – auch wenn man in Bussen und Krankenhäusern weiterhin Masken tragen muss. Für die Autoindustrie ist die Pandemie nach wie vor ein gigantisches Thema. Und als ob die Corona-Probleme in China oder Europa nicht schon schwierig genug wären, sorgt der Krieg in der Ukraine für einen weiteren lodernden Gefahrenherd.
Das betrifft nicht nur die Autoindustrie, denn diese kann sich aufgrund der angespannten Marktlage noch darüber freuen, dass keine oder kaum Rabatte gewährt werden müssen und die Nachfrage stabil ist. Selbst wenn europäische Länder wie Deutschland nicht nur infolge der Geldentwertung in eine Rezession steuern, können die Autohersteller in Sachen Produktion und Marktlage flexibel reagieren.

Hersteller und Zulieferer: Wie geht es mit Corona durch Winter?
Ganz anders sieht die Situation bei den Zulieferern aus. Egal ob mächtige Tier-1-Zulieferer wie Bosch, Continental oder die Zulieferer aus den hinteren Reihen, ist das Risiko hier deutlich größer. Immer mehr werden Investitionen, die die Zulieferer oftmals als Entwicklungspartner der Autohersteller tätigen, zurückgehalten oder verschoben. Die Finanzdecke ist gerade bei dem ein oder anderen kleineren Zulieferer dünn und diese Situation wird sich durch eine angespannte Marktlage kaum verbessern.
Derweil haben die Autohersteller selbst alle Hände voll damit zu tun, die Aufträge abzuarbeiten. Besonders beliebte Elektrofahrzeuge haben Lieferzeiten von mehr als einem Jahr und viele Fahrzeuge mit Stecker sind auf absehbare Zeit gar nicht mehr zu bestellen. Das war es dann mit der auslaufenden Hybridförderung für viele Kunden auf dem deutschen Markt. „Die Kundennachfrage ist weiterhin hoch. Wir tun alles, um die Kundenerwartungen trotz der globalen Lieferengpässe zu erfüllen“, sagt Mercedes-Vertriebsvorstand Britta Seeger.
Hersteller und Zulieferer: Transportkosten per Schiff vervielfacht
Die Autohersteller liefern immer mehr Fahrzeuge nicht mehr mit dem vollen Gesamtpaket aus. Hier fehlt obligatorisch der zweite Funkschlüssel, da müssen die Fahrer eines Plug-in-Hybriden ohne Ladekabel auskommen und hunderte von Autos stehen ohne Logos auf dem Werksgelände. Vor Jahren wäre das ein Fall für ein Comedy-Format gewesen, doch heute ist die Situation vor der beginnenden Wintersaison unverändert ernst. Auch wenn neue Betriebsstätten aus dem Boden gestampft wurden, um Kabelstränge außerhalb der Ukraine zu flechten, Sitzkomponenten aus allen Teilen der Welt umher geschifft werden oder im Tagesrhythmus Notfallflieger mit Chips aus Asien landen – so schnell ändern wird sich die Situation nicht.

Dabei geht es nicht nur um die Fertigung an sich, sondern insbesondere die Transportmöglichkeiten. Die Preise für Schiffscontainer haben sich in den vergangenen Monaten vervielfacht und es herrscht eine Mangellage an Transportmitteln – gerade in der Luft oder auf dem Seeweg. Die Produktion in Europa wird daher immer wichtiger. Bosch eröffnete im Juli eine neue Chipfabrik in Dresden: „In den Bau der neuen Chipfabrik hat Bosch bereits eine Milliarde Euro investiert. Dies war die größte Einzelinvestition in unserer Unternehmensgeschichte“, sagt Bosch-CEO Stefan Hartung.
Hersteller und Zulieferer: Autopreise deutlich gestiegen
Die angespannte Lage drückt die Kosten ebenso in die Höhe wie teure Rohstoffe. In der anhaltenden Pandemie haben alle Autohersteller ihre Preise direkt wie indirekt deutlich erhöht. Zum einen durch höhere Listenpreise, doch noch mehr schlagen die weggefallenen Rabatte in die Rechnung. So kostet ein Mittelklasse-Crossover heute oftmals 20 Prozent mehr als vor zwei bis drei Jahren. Noch größer sind die Preisunterschiede bei Oberklasse- oder Luxuslimousinen, die schnell 30 oder mehr Prozentpunkte teurer als im Jahre 2019 sind und somit deutlich über der offiziellen Inflationsrate liegen.
Ford hat aufgrund der gestiegenen Akkupreise jüngst die Preise für seine Elektromodelle deutlich erhöht – bei einem Ford F-150 Lightning rund 10.000 US-Dollar. In Europa sieht es kaum anders aus, denn auch der beliebte Elektro-Crossover Mustang Mach-E ist teurer denn je. Aktuell liegt der Basispreis bei 62.900 Euro; einst war es unter 50.000 Euro losgegangen. Und auch der Elektro-Pick-up F-150 Lightning ist deutlich teurer geworden.
Hersteller und Zulieferer: Fahrzeugproduktion weiter rückläufig
Die Autokäufer sind frustrierter denn je, denn wer wartet schon gerne länger ein Jahr auf sein neues Auto? Die Konsequenz aus diesem Versorgungsengpass ist ein ähnlicher Bauteil-Darwinismus, wie er schon bei den Halbleitern praktiziert wird. Die Autos, mit denen die Hersteller am meisten Geld verdienen, werden bei der Produktionsrangliste priorisiert. Der Deckungsbeitrag entscheidet und so sind viele günstige Basismodelle nicht zu bekommen und Fahrzeugen aus dem mittleren Preissegment fehlen wertvolle Ausstattungsmerkmale wie Head-up-Display, schlüsselloser Zugang oder Fahrerassistenzsysteme.
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Die wenigen verfügbaren Komponenten werden bei den ertragreicheren Topmodellen verbaut – wenn überhaupt. Die Umsatzeinbußen für die Automobilhersteller sind dennoch gravierend. „Die Covid-19-Pandemie, der Halbleitermangel und jetzt der Krieg in der Ukraine richten enormen Schaden an, mit einem Rückgang der Fahrzeugproduktion um acht Prozent von 90,3 Millionen Einheiten im Jahr 2019 auf 83 Millionen im Jahr 2021. Dieser Trend wird leider im Jahr 2022 weitergehen und sich gegebenenfalls noch verschärfen“, sagt Dr. Ralf Walker von der Berylls Group.
Hersteller und Zulieferer: Škoda gründet Halbleiter-Taskforce
Damit der wirtschaftliche Schaden möglichst gering bleibt, müssen neue Wege her. Die tschechische VW-Tochter Škoda nimmt eine Vorreiterrolle ein. Škoda-Einkaufsvorstand Karsten Schnake leitet konzernweite „Taskforce Halbleiter“ und ist seit längerem gerade bei Kabelbäumen aktiv.
Anmerkung der Redaktion: Dieser Text ist bereits in der Vergangenheit erschienen. Er hat viele Leserinnen und Leser besonders interessiert. Deshalb bieten wir ihn erneut an.
„Für die Produktion unseres vollelektrischen Škoda Enyaq iV ist es uns gelungen, Kapazitäten bei unserem Partner im marokkanischen Werk Kenitra zu sichern. Dank der Fertigung an beiden Standorten – Zhytomyr in der Ukraine und Kenitra in Marokko – decken wir zukünftig den steigenden Bedarf an Kabelsträngen für die Produktion des Enyaq iV voll ab“, erklärt Schnake. Bei voller Kapazität sollen an beiden Standorten Kabelbäume für 1.870 Fahrzeuge pro Woche gefertigt werden. Es sind oft die kleinen Schritte, die reichen müssen. Und man kann oft nur kurzzeitiger denn je planen – unter Umständen nur Tag für Tag. (Stefen Grundhoff/press-inform)