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Urteil zum Diesel-Skandal: Umwelthilfe unterstellt Autobossen „Körperverletzung mit Todesfolge“

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Von: Christian Schulz

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Nach dem EuGH-Urteil zum Diesel-Skandal bei Volkswagen und weiteren Herstellern erhebt die Deutsche Umwelthilfe schwere Vorwürfe – und wählt drastische Worte.

Berlin – Im September 2015 platzte die Bombe: Der renommierte deutsche Autobauer Volkswagen flog auf – weil er mit einer speziellen Betrugs-Software die Abgaswerte seiner Fahrzeuge manipuliert hatte. Die Folgen ließen nicht lange auf sich warten: Schadenersatz-Forderungen in Milliardenhöhe – und eine enorme Klagewelle. Jetzt hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein richtungsweisendes Urteil gefällt (Rechtssache C-693/18) – und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) fordert vehement Rückrufe und Hardware-Nachrüstung für mehr als 5 Millionen Betrugs-Diesel. (Umwelthilfe-Chef Jürgen Resch fliegt Kurzstrecke – Diesel-Fahrverbote will er aber durchsetzen)

Der Auspuff eines Diesel-Autos von VW (links) und der Chef der Deutschen Umwelthilfe Jürgen Resch (rechts)
Nach dem EuGH-Urteil zu illegalen Abschalteinrichtungen spricht Umwelthilfe-Chef Jürgen Resch von „Körperverletzung mit Todesfolge“. © dpa/Marijan Murat / imago images/Jan Huebner

EuGH-Urteil: Deutsche Umwelthilfe fordert Millionen Diesel-Rückrufe – „Körperverletzung mit Todesfolge“

Vor dem Europäischen Gerichtshof ging es um die Bewertung der Mogel-Software. Diese erkennt, ob ein Auto auf der Straße oder auf dem Rollenprüfstand fährt. Das Fahrzeug ermittelt selbstständig, ob Bedarf an Betrug besteht – und handelt: Während der Labortests läuft die Abgasrückführung, die den Ausstoß gesundheitsschädlicher Stickoxide verringert, mit voller Stärke. So werden die Schadstoffgrenzwerte eingehalten. Im Normalbetrieb auf der Straße wird die Abgasrückführung gedrosselt. Das bringt mehr Motorleistung, aber eben auch unerlaubt hohen Stickoxid-Ausstoß. (Diesel-Skandal: 200.000 neue Fahrzeuge unter Verdacht – um diese Marken geht’s)

Der EuGH beschäftigte sich mit zwei wesentlichen Fragen. Erstens: Handelt es sich bei der Software um eine „Abschalteinrichtung“? Diese sind laut EU-Recht grundsätzlich verboten. Allerdings gibt es Ausnahmen – zum Beispiel, wenn die Abschalteinrichtung „den Motor vor Beschädigung oder Unfall schützt“ oder „den sicheren Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet“. Die zweite Frage lautete: Fällt diese Software unter die Ausnahme? (Abgasskandal: Sind bei Audi jetzt auch Benziner betroffen?)

Nachdem der EuGH Ersteres bejahte, legte er die Ausnahmeregel eng aus. Um eine solche Einrichtung zu rechtfertigen, müsse sie vor „plötzlichen und außergewöhnlichen Schäden“ schützen, heißt es. Es gehe also um „unmittelbare Beschädigungsrisiken“, die während des Fahrens zu konkreter Gefahr führen. Nicht ausreichend sei hingegen, dass die Abschalteinrichtung Verschleiß oder Verschmutzung des Motors verhindere. (Audi-Prozess: Angeklagter Motorenentwickler – „Wir waren die Schmutzigen“)

Deutsche Umwelthilfe fordert Diesel-Rückrufe: Resch spricht von „Körperverletzung mit Todesfolge“

Diese Auslegung birgt jede Menge Brisanz: Denn die genaue Definition der Ausnahmen dürfte für die Branche ungeheuer wichtig sein. Der auf Klagen im Diesel-Skandal spezialisierte Potsdamer Anwalt Claus Goldenstein erklärte zu dem EuGH-Verfahren jedenfalls, die Entscheidung sei für nahezu alle Autohersteller relevant. Aus seiner Sicht könnte der „europäischen Automobilindustrie die größte Rückrufwelle aller Zeiten“ bevorstehen. (Aus für Verbrennungsmotor schon 2025? Die deutsche Autoindustrie fürchtet sich)

In diese Kerbe schlägt auch die Deutsche Umwelthilfe – und fordert massive Konsequenzen aus dem Diesel-Skandal von VW. Die Organisation begrüßt das EuGH-Urteil zur Illegalität der Abschalteinrichtungen, die „zur Vergiftung der Atemluft in unseren Städten führen.“ Die Anschuldigungen der Umweltaktivisten sind drastisch – ebenso die Wortwahl: DUH-Chef Jürgen Resch hält die Abschalttechnik für kriminell und wirft den Vorstandsvorsitzenden von BMW, Daimler, VW, Porsche und Audi „vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge“ vor. (VW-Chef Herbert Diess gerät heftig unter Druck – das ist der Grund)

Deutsche Umwelthilfe fordert Diesel-Rückrufe: „Zeit der faulen Ausreden ist vorbei“

Aus diesem Grund fordert die Deutsche Umwelthilfe auch umgehende Rückrufe für mehr als 5 Millionen Betrugs-Diesel – und deren sofortige Hardware-Nachrüstung. Diese will die DUH laut eigenen Angaben im Rahmen mehrerer bereits laufender Klagen und einer für das Jahr 2021 erwarteten weiteren EuGH-Entscheidung (Rechtssache C-873/19) gegen VW und weitere Hersteller erwirken. „Sollte sich Verkehrsminister Andreas Scheuer weiter weigern, die betroffenen Fahrzeuge amtlich zurückzurufen und die Hersteller zum Austausch der Abgas-Katalysatoren zu verpflichten, werden wir dies vor Gericht durchsetzen“, so Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch: „In diesen Zeiten ist saubere Luft wichtiger denn je. Hohe Schadstoff-Konzentrationen in der Atemluft sind während der Pandemie ein Skandal!“ (Ex-VW-Chef Winterkorn: „Da scheppert nix“ – das legendäre Video vom Messerundgang)

Derzeit führt die DUH, vertreten durch ihren Anwalt Remo Klinger, mehrere Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Schleswig, um das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) zu verpflichten, die unzulässigen Abschalteinrichtungen entfernen zu lassen. Dazu hat die Organisation gegen die Freigabebescheide der Behörde für Diesel-Pkw Widerspruch eingelegt. Laut Klinger müssten „diese millionenfach verbauten Systeme nun entfernt werden. Das Urteil des EuGH wird die Messlatte sein. Die Zeit der faulen Ausreden ist vorbei.“ (Mit Material der dpa)

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