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Autohersteller sieben aus: Warum viele Modellvarianten verschwinden

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Von: Sebastian Oppenheimer

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Die Autohersteller durchkämmen ihre Modellprogramme. Denn es gibt markenübergreifend einfach zu viele Varianten – bei sinkenden Verkaufszahlen.

München – Wie sich die Zeiten ändern können. Bis in die 1990er-Jahre hatte die Autowelt den Variantenreichtum noch ganz gut im Griff, denn damals gab es gerade einmal um die hundert verschiedene Fahrzeugvarianten. Doch dann ging es auf dem ebenso imageträchtigen wie volumenreichen deutschen Markt über Nacht los: Innerhalb von 25 Jahren wurden aus den ehemals 100 Modellen mehr als 3.000 – gigantische 30-mal so viel, verteilt auf verschiedene Modelle, Karosserieformen und Motorisierungen. Mit immer neuen Derivaten entstanden innerhalb kurzer Zeit neue Segmente.

VW Passat der achten Generation
Aussterbende Art: In Deutschland ist der VW Passat als Limousine bereits nicht mehr konfigurierbar. © VW

Autohersteller sieben aus: Warum viele Modellvarianten verschwinden

Dabei wurde der Wettbewerb zwischen den einzelnen Marken immer größer: Hatte ein Hersteller eine neue Nische besetzt, mussten die anderen nachziehen. Kaum einer wollte ein Marktsegment den Wettbewerbern überlassen. Hinzu kam ein europaweit gesättigter Markt. Doch hat die Vielfalt auch zu mehr Absatz geführt oder verkaufen die Hersteller heute sogar weniger Fahrzeuge? Die Analysten von Jato Dynamics haben sich dazu die Zahlen einmal genauer angesehen.

In den vergangenen 20 Jahren gab es einen Megatrend – SUV und Crossover wurden über nahezu alle Fahrzeugklassen und Preisregionen zur beliebtesten Karosserievariante. Die hoch aufragenden Fahrzeuge mit Geländewagenoptik haben aber nicht nur in Europa, sondern weltweit an Zugkraft gewonnen und machten im vergangenen Jahr rund 45 Prozent der weltweiten Pkw-Verkäufe aus. In Europa entfielen in diesem Jahr bis August ebenfalls 45 Prozent der Gesamtzulassungen auf SUV. (Automobiler Abschied: Diese Modelle flogen 2021 aus dem Programm)

Fahraufnahme eines BMW X5 der ersten Generation E53.
Die erste Generation des BMW X5 (E53) kam 1999 auf den Markt – das Auto nahm früh den Mega-Trend SUV auf. © BMW

Autohersteller sieben aus: Neuwagenmarkt weitgehend gesättigt

Von 2000 bis 2007 lagen die Pkw-Neuzulassungen in Europa bei jährlich 15 bis 16 Millionen Einheiten. Ab 2008 sorgte die Wirtschafts- und Finanzkrise für die erste Delle; der Absatz ging bis 2016 auf durchschnittlich 13,7 Millionen Fahrzeuge pro Jahr zurück. Danach erholte sich der europäische Markt wieder etwas, die Zulassungen lagen zwischen 15,5 und 15,7 Millionen Einheiten. Dann kam die Corona-Pandemie und zog den Automarkt – nicht nur in Europa – nach unten. Bis heute wurde das Niveau von vor 20 Jahren nicht wieder übertroffen – zwischen 1991 und 2019 ist der Gesamtabsatz nur um elf Prozent gestiegen. (Endlich Oldtimer: Diese Modelle bekommen 2022 das H-Kennzeichen)

Mittlerweile ist Europas Neuwagenmarkt, wie der nordamerikanische und der japanische, weitgehend gesättigt. Für die Hersteller bedeutet dies, neue Wege zu finden, um die Kosten zu senken oder neue Kunden von anderen Marken zu erobern. Da jedes Jahr nur eine begrenzte Zahl neuer Kunden hinzukommt, haben die Hersteller neue Segmente geschaffen, um die Aufmerksamkeit ihrer Klientel zu gewinnen. Da kam die SUV-Welle, die in den späten 1990er-Jahren von den USA ausging, gerade recht. In hohem Tempo machten die SUV Boden gut und wurden schnell zur beliebten Alternative zu den traditionellen Schräghecklimousinen, Kombis und Vans, die Europas Straßen jahrzehntelang beherrschten. Die Hersteller konnten mit den SUV nicht nur ihr Modellangebot erweitern, sondern auch mehr Geld für Fahrzeuge verlangen, die technisch weitgehend identisch mit ihren Fließheck-Pendants sind. (Bezahlbare Neuwagen: Fünf Autos für unter 30.000 Euro)

Fahraufnahme eines VW Tiguan R von schräg vorn
Der VW Tiguan (hier die R-Version) gehört zu den beliebtesten SUV in Deutschland. © Hersteller

Autohersteller sieben aus: SUV willkommene Einnahmequelle

Der Erfolg reißt nicht ab: Immer noch sind die Kunden bereit, für einen SUV mehr zu bezahlen als für einen Wagen mit klassischer Karosserieform. Für die Hersteller, die in den letzten zehn Jahren Mühe hatten, ihre Ziele zu erreichen, sind die SUV eine willkommene Einnahmequelle. Auf der anderen Seite sorgen die größeren Crossover für höhere CO2-Emissionen und die Beliebtheit der Pseudokraxler geht auf Kosten der traditionellen Segmente. Erstaunlich ist nur, dass sich, obwohl die SUV die Gewinne der Hersteller sprudeln ließen, sich dies fast gar nicht auf die Gesamtzulassungen auswirken konnte. Die stagnieren seit Jahren nicht nur, sondern der Gesamtabsatz der sieben europäischen Automarken, die SUV anbieten, ist zwischen 2001 und 2021 sowohl im B- als auch im C-Segment drastisch eingebrochen. (Auto-Neuheiten 2022: Diese Elektro-Modelle rollen zu den Händlern)

2001 war der Peugeot 206 mit fast 443.000 Einheiten das meistverkaufte Modell im B-Segment in Europa. Es war das einzige Peugeot-Modell in der Kleinwagenklasse. 2016 kam der Peugeot 2008 als SUV-Pendant zum 208 auf den Markt – und wurde gleich zum zweitbestverkauften SUV im B-Segment in Europa. Doch in diesem Jahr hat Peugeot von beiden Modellen zusammen bisher nur 287.000 Stück verkauft, das sind zwei Drittel des 206er-Absatzes von 2001. Allerdings ist das kein Einzelfall: Auch andere Volumenhersteller wie Opel, Renault oder Ford, kämpfen mit den gleichen Problemen.

Fahraufnahme eines Peugeot 206
Im Jahr 2001 war der Peugeot 206 mit fast 443.000 Einheiten das meistverkaufte Modell im B-Segment in Europa. © Peugeot

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Autohersteller sieben aus: Breite Motorenportfolios werden verschwinden

Der gleiche Trend ist auch in der Kompaktklasse (C-Segment) zu beobachten. 2001 stand der VW Golf mit 466.000 Einheiten an der Spitze des Segments und des gesamten Marktes. Fünf Jahre später gab es den Bestseller dann auch als Großraumlimousine Golf Plus. Und die Zulassungen stiegen auf 474.000 Einheiten. Zwischen 2011 und 2016 konnte das Gesamtvolumen dank des neu eingeführten Tiguan sogar noch weiter gesteigert werden. Doch in diesem Jahr kommt Volkswagen mit den Derivaten Golf, Golf Sportsvan, Tiguan und Tiguan Allspace gerade einmal auf zusammen 314.300 verkaufte Einheiten. 390.600 sind es, wenn man ID.3 und ID.4 hinzuzählt.

Das sitzt: Ein einziges Modell fand im Jahr 2001 also mehr Kunden als sechs Modelle im Jahr 2021. Und es spricht derzeit nicht viel dafür, dass sich dies kurzfristig ändern wird. Die Zahl der Fahrzeugvarianten wird sich in den kommenden Jahren reduzieren. Die ein oder andere zuletzt geschlossene Lücke im Modellprogramm muss geöffnet werden, weil die meisten Hersteller in den kommenden Jahren parallel Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor und Elektroantrieb anbieten. Der zunehmende Trend der Elektroautos wird gerade bezahlbaren Kleinwagen das Leben schwer machen und die ein oder andere Limousine wird ebenso von einem Crossover ersetzt wie die Kombivariante. Zudem verschwinden zunehmend die breiten Motorenportfolios, Dieselantriebe und Fahrzeuge mit Handschaltung. (Patrick Solberg/press-inform)

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