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Assistenzsysteme: Von ABS bis zur Verkehrszeichenerkennung – was ist Pflicht und was ist sinnvoll?

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Von: Arne Roller

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Innenraum eines BMW mit Anzeige für den Notbremsassistenten im HUD
Fahrerassistenzsysteme sorgen für ein Plus an Sicherheit © dpa

Radar, Lidar, Ultraschall, Laser: mit neuer Technik kommen neue System für noch mehr Sicherheit. Einige Assistenten sind in neuen Fahrzeugen bereits Pflicht.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts ist allein im Jahr 2019 die Zahl der Verkehrstoten um 16,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken. Viele Experten führen das unter anderem auf die modernen Fahrerassistenzsysteme zurück.

Fahrerassistenzsysteme sollen jedoch nicht nur für Verkehrssicherheit sorgen, sondern die Fahrer zudem bei Abläufen unterstützen, die sich umständlich gestalten oder besondere Geschicklichkeit erfordern. Das erleichtert das Autofahren merklich, doch es gibt auch eine Kehrseite der Medaille: Zu starkes Vertrauen auf die nützlichen Helfer kann die eigene Aufmerksamkeit, Konzentration und das Verantwortungsbewusstsein beeinträchtigen.

Assistenzsysteme mit breitem Funktionsspektrum

Mittlerweile gibt es für fast jede Situation im Fahrbetrieb einen technischen Assistenten. Dabei stellt sich zunächst die Frage der Begriffsbestimmung. Was genau ist ein Assistenzsystem in einem Fahrzeug? Überraschenderweise sind die Grenzen fließend – die Bezeichnung ist Definitionssache.

Ein Beispiel: Die Servobremse – also die Bremskraftunterstützung – ist funktionell gesehen ein typisches Fahrerassistenzsystem. Sie tritt in Aktion, wenn der Fahrer das Bremspedal betätigt und verstärkt die Bremswirkung. Dennoch fällt diese Einrichtung nicht unter die aktuelle Begrifflichkeit für Systeme, die den Fahrbetrieb unterstützen. Die folgenden Stabilisierungssysteme gehören hingegen dazu:

Spurhaltesysteme:

Fahrkontrollsysteme:

Sonstige Systeme:

Assistenzsysteme – pro und contra

Neuwagen sind heute meist mit vielen Assistenzsystemen ausgestattet. Vor allem einfache Systeme wie ABS, ESP und ASR sind weit verbreitet. Fahrzeuge der gehobenen Ausstattungslinien bieten darüber hinaus oftmals zahlreiche weitere elektronische Helfer wie den Totwinkel-Assistenten. Die Technik gilt im Allgemeinen als hilfreich, erfährt jedoch auch Kritik.

Insbesondere die aktiven Elemente bei den Systemen stehen im Mittelpunkt der Diskussion. Die eigenständigen Lenkprozesse werden als unpräzise kritisiert, was Fahrer und Insassen schon einmal in Angst und Schrecken versetzen kann. Meist können nur Modelle der Premiumklasse fein abgestimmte und sanft einsetzende autonome Lenkungen aufweisen.

Ähnliches gilt beim eigenständigen Bremsen. Um hier situationsbedingt schnelle Reaktionen zu erreichen, ohne allzu drastische Eingriffe in den Fahrbetrieb auszulösen, gewinnt die künstliche Intelligenz immer mehr an Bedeutung. Gerade auf dem Gebiet der Feinabstimmung wird bei vielen Helfern die KI in Zukunft noch eine Reihe weiterer Aufgaben übernehmen.

Die Ausgabe von Warnmeldungen ist bei den Systemen der verschiedenen Hersteller unterschiedlich ausgestaltet. Setzen die einen auf schrille Warntöne, die Fahrer und Insassen auf Fahrfehler hinweisen, bevorzugen andere dezente Signale, die beim Fahrer Schreckreaktionen verhindern sollen. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Systemen, die psychologisch exakt austarierte Warnungen ausgibt – sanft und dennoch unüberhörbar.

Kritiker bemängeln zudem die teilweise unpraktische Bedienerführung. Viele frustrierte Nutzer berichten, dass sie den Weg zum Ein- und Ausschalten ihrer Fahrerassistenzsysteme nur mit Hilfe des Handbuchs herausfinden konnten.

Assistenzsysteme: Viele werden nicht genutzt

Selbst wenn die Helfer mit an Bord sind, ist damit noch nicht gesagt, dass sie auch zum Einsatz kommen. Das Gegenteil ist eher der Fall: Die Studie „Driver Interactive Vehicle Experience“ des Marktforschungsunternehmens J. D. Power erbrachte Überraschendes: Fahrerassistenzsysteme werden nur selten genutzt – selbst, wenn sie im Fahrzeug vorhanden sind. Genauer gesagt: Etwa ein Fünftel aller Neuwagenbesitzer nutzt über die Hälfte der vorhandenen Assistenzsysteme nie oder nur unbewusst.

Auf besonders wenig Interesse stoßen laut Studie vor allem Einparkhilfen und Navigationssysteme. Noch unwichtiger erscheinen den Fahrzeughaltern virtuelle Assistenten, die sogenannten Concierge-Systeme. Obwohl von den Herstellern oft so bezeichnet, sind sie im Grunde keine vollwertigen Fahrerassistenzsysteme. Zudem nehmen viele Nutzer sie als überflüssig wahr. Dafür gibt es einen Grund: Die meisten Anwender haben derartige Dienste bereits als App auf ihrem Smartphone.

Über die Gründe der geringen Akzeptanz von einigen Asssistenzsystemen besteht keine einheitliche Meinung. Manche Beobachter führen das auf die streckenweise noch verbesserungswürdige Funktionsweise der Assistenten zurück. Andere halten die Bedienung für die Ursache. Andererseits werden viele Assistenten so dezent eingebunden, dass sie den Fahrer nicht beeinträchtigen – etwa die Spurhalteassistenz, der nur eingreift, wenn das Programm einen Fahrfehler erkennt.

Fahrerassistenzsysteme und europäisches Recht

Über ABS und ESP hinaus ist die Rechtslage bei den Fahrerassistenzsystemen in Europa weitgehend unreguliert – noch. Derzeit steht es im freien Ermessen des Nutzers, welche Systeme er seinem Fahrzeug und sich selbst gönnen will und welche nicht. Das wird sich in absehbarer Zeit grundsätzlich ändern.

Das EU-Parlament hat in einer Entscheidung über Fahrerassistenzsysteme mit 578 Ja-Stimmen und nur 30 Gegenstimmen beschlossen, bestimmte Assistenzsysteme zur Pflicht zu machen.

Das Ergebnis ist die Verordnung zur Einführung verpflichtender Assistenzsysteme. Wenn die EU-Vorgaben Anfang 2022 in Kraft tritt, müssen ab diesem Zeitpunkt alle neu zugelassenen Pkw, Lkw und Busse mit diesen Systemen ausgerüstet sein:

Insbesondere der letzte Punkt wird aus Sicht des Datenschutzes und der Wahrung der Privatsphäre einiges an Diskussionen auslösen. Ob sich die Black Box tatsächlich mit europäischem Recht vereinbaren lässt, wird möglicherweise noch Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen werden.

Ebenso zwiespältig wird von Rechtsexperten der Begriff des intelligenten Geschwindigkeitsassistenten beobachtet. Obwohl dazu noch keine detaillierten Ausführungen veröffentlicht wurden, befürchten viele, dass es sich bei diesem Fahrerassistenzsystem um eine Art Überwachungssystem für die Höchstgeschwindigkeit handeln könnte. Das System könnte theoretisch per GPS und Kameras eine permanente Geschwindigkeitsüberwachung des Fahrzeugs möglich machen, um jede Überschreitung in Echtzeit festzustellen.

Für Fahrerassistenzsysteme gilt wie für viele andere große Entwicklungen: Die Zukunft wird zeigen, wie sinnvoll und hilfreich sie sind.

Von Emil Horowitz

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