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EuGH-Urteil im Diesel-Skandal: Abgas-Software ist illegal – droht jetzt riesige Rückrufwelle?

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Von: Christian Schulz

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Manipulierte Abgaswerte bei Volkswagen waren Auslöser des erschütternden Diesel-Skandals vor fünf Jahren. Jetzt hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein richtungsweisendes Urteil gefällt.

Luxemburg – Fünf quälend lange Jahre nach Beginn des VW-Diesel-Skandals hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine Mogel-Software von Volkswagen zur Schönung von Abgaswerten bei Zulassungstests für illegal erklärt. Denn „im Labor hui, auf der Straße pfui“ – das darf nicht sein. Gerade viele Besitzer älterer Diesel-Fahrzeuge haben sehnsüchtig darauf gewartet: Das Urteil könnte endlich dazu beitragen, ihre Rechte zu klären. (Rechtssache C-693/18)

EuGH-Urteil im Diesel-Skandal: Abgas-Software ist illegal – droht jetzt eine riesige Rückrufwelle?

Laut des Europäischen Gerichtshofs dürfe ein Hersteller keine Abschalteinrichtung einbauen, die bei Zulassungsverfahren systematisch die Leistung des Systems zur Kontrolle der Emissionen verbessert. Dies führte der EuGH noch aus: Auch die Verminderung von Verschleiß oder Verschmutzung des Motors könne keinesfalls eine solche Abschalteinrichtung rechtfertigen. (VW-Chef Herbert Diess wegen Tesla unter massivem Druck – so will er das Steuer rumreißen)

Wir blicken zurück: Im September 2015 war Erschütterndes zu Tage getreten. Der renommierte deutsche Autobauer Volkswagen war aufgeflogen – weil er mit spezieller Betrugs-Software geradezu schamlos Abgaswerte bei Zulassungstests seiner Fahrzeuge manipuliert hatte. Die Folgen ließen nicht lange auf sich warten: Es waren Schadenersatzforderungen in Milliardenhöhe – und eine immense Klagewelle. (Aus für Verbrennungsmotor schon 2025? Die deutsche Autoindustrie fürchtet sich)

Der Auspuff eines Audi A7 Sportback 3.0 TDI quattro, V6 Dieselmotor, Baujahr 2013
Nach dem EuGH-Urteil werden Forderungen nach einem verbindlichen Rückruf von über 5 Millionen Betrugs-Dieseln laut. © Christoph Schmidt/dpa

EuGH-Urteil im Diesel-Skandal: So betrügt die illegale Abgas-Software

Der Hintergrund des Verfahrens vor dem EuGH, aus dem das jetzige Urteil hervorging, ist ein Fall aus Frankreich. Dort wird gegen einen Automobilhersteller wegen arglistiger Täuschung ermittelt. Der Hersteller wird in den Gerichtsakten lediglich mit „X“ benannt – allerdings hat Volkswagen schon relativ kleinlaut bestätigt, dass es sich um seine Fahrzeuge dreht. (Audi-Prozess: Angeklagter Motorenentwickler – „Wir waren die Schmutzigen“)

Vor den Richtern des Europäischen Gerichtshofs ging es letztlich um die Bewertung der Mogel-Software. Diese erkennt, ob ein Auto auf der Straße gefahren oder für Zulassungstests im Labor geprüft wird. Das Fahrzeug ermittelt also selbstständig, ob Bedarf an Betrug und Täuschung besteht – und handelt dementsprechend: Während der Tests läuft mit voller Stärke die sogenannte Abgasrückführung, die den Ausstoß gesundheitsschädlicher Stickoxide verringert. So gelingt es im Labor die vorgeschriebenen Schadstoffgrenzwerte einzuhalten. Im Normalbetrieb auf der Straße wird die Abgasrückführung jedoch gedrosselt. Der Effekt ist mehr Motorleistung, aber eben auch mehr Stickoxid – sämtliche Grenzwerte werden gerissen. (Diesel-Skandal: 200.000 neue Fahrzeuge unter Verdacht – um diese Marken geht’s)

Urteil im Diesel-Skandal: EuGH klärt zwei Fragen – Abgas-Software ist illegal

Der EuGH hatte im Wesentlichen zwei Fragen zu klären. Erstens: Handelt es sich bei der Software um eine „Abschalteinrichtung“? Diese sind laut EU-Recht grundsätzlich verboten. Allerdings gibt es Ausnahmen – zum Beispiel, wenn die Abschalteinrichtung „den Motor vor Beschädigung oder Unfall schützt“ oder „den sicheren Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet“. Und so schloss sich die zweite Frage an: Fällt diese Software unter die Ausnahme? (Abgasskandal: Sind bei Audi jetzt auch Benziner betroffen?)

Die erste Frage bejahte der EuGH. In der zweiten Frage legte er die Ausnahmeregel eng aus. Um eine solche Einrichtung zu rechtfertigen, müsse sie vor „plötzlichen und außergewöhnlichen Schäden“ schützen, heißt es. Es gehe also um „unmittelbare Beschädigungsrisiken“, die während des Fahrens zu konkreter Gefahr führen. Nicht ausreichend sei hingegen die Begründung, eine solche Abschalteinrichtung trage dazu bei, Verschleiß oder Verschmutzung des Motors zu verhindern. (Ex-VW-Chef Winterkorn: „Da scheppert nix“ – das legendäre Video vom Messerundgang)

EuGH-Urteil: Abgas-Software ist illegal – droht die größte Rückrufwelle aller Zeiten?

Die genaue Definition der Ausnahmen zum „Motorschutz“ dürfte für die Branche besonders wichtig sein. Der auf Klagen im Diesel-Skandal spezialisierte Potsdamer Anwalt Claus Goldenstein erklärte zu dem EuGH-Verfahren, die Entscheidung sei für nahezu alle Autohersteller relevant. Aus seiner Sicht könnte der „europäischen Automobilindustrie die größte Rückrufwelle aller Zeiten“ bevorstehen. (Umwelthilfe-Chef fliegt Kurzstrecke – Diesel-Fahrverbote will Jürgen Resch aber durchsetzen)

Allein in Deutschland seien Millionen Fahrzeuge mit Abschalteinrichtungen zugelassen worden, erklärte Goldenstein. Diese müssten von den verantwortlichen Herstellern zurückgerufen werden, damit die Abgasreinigung der Fahrzeuge optimiert werde. Da Haltern durch Wertverlust Schaden entstanden sei, sollten sie sich gegen Betrug wehren und Schadenersatz durchsetzen, meint der Anwalt. (Diesel-Skandal: Ex-Audi-Chef Rupert Stadler kommt demonstrativ im Mercedes zum Gericht)

Das Verfahren in Frankreich wird dort entschieden. Das zuständige Gericht hatte dem EuGH die aus seiner Sicht entscheidenden Fragen vorab zur Klärung vorgelegt. (Mit Material der dpa)

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